Fit fürs Cockpit
Am Ende jeder Pilotenausbildung findet sich oft ein beiläufiger Hinweis: Ein Pilot muss stets physisch und mental fit sein. Dieser Gedanke wird selten weiter vertieft, obwohl er essenziell ist. Der Begriff „Good Airmanship“ umfasst Eigenschaften wie Disziplin, Selbstreflexion und Gelassenheit – Qualitäten, die man nicht einfach in Stresssituationen abrufen kann, sondern die tief in der Persönlichkeit verankert sein sollten.
Konkret sollten wir vor Antritt eines Fluges die in der „I´m safe“-Checkliste enthaltenen Fragen beantworten: Illness? Medication? Stress ? Alcohol? Fatigue? Emotion?
Yoga hilft bei der Erkennung oder Vermeidung dieser Faktoren.
Wie können wir diese Eigenschaften fördern und dabei auch im Alltag profitieren? Die Antworten darauf sind vielfältig, und jede Methode hat ihre überzeugten Anhänger. Hier ein persönlicher Bericht:
Ein persönlicher Erfahrungsbericht
Aus dem Bedürfnis, Rücken- und Gelenkschmerzen vorzubeugen, begann meine Reise durch Fitnessstudios, Pilates und Rückenkurse – bis ich schließlich zu Ashtanga Yoga fand. Ashtanga ist eine traditionelle Yogapraxis, die Disziplin und Kraft erfordert.
Viele der Übungen haben Ähnlichkeiten mit skandinavischer Heilgymnastik nach P. H. Ling (1776-1839). Ling’s ganzheitlicher Ansatz legte den Grundstein für viele moderne Fitnesskonzepte.
Pattabhi Jois (1915–2009) gilt als der wichtigste Lehrer und Verbreiter des Ashtanga Yoga. Patanjali (ca.300 n.Chr) war ein indischer Gelehrter und Weiser und Verfasser der „Yoga Sutras“. Da es nur wenige historische Quellen gibt, kann Patanjali auch eine Sage und Kunstfigur sein. Die „Yoga Sutras“ enthalten die grundlegende Philosophie hinter vielen modernen Yoga-Stilen. In Deutschland ist der Sportarzt Dr. Ronald Steiner (www.ayi.info) aus Ulm einer der prominentesten Lehrer.
Bei Air India und in der Indischen Armee sind Yoga Pflichtteil des Ausbildungsprogrammes.
Yoga hat seine Wurzeln in der alten indischen Zivilisation, was Quelle von allerlei Fehlinterpretationen sein kann. Manche Erfahrung lässt sich nicht in Worte fassen und ist erst zugänglich durch eigene Praxis. Neben den körperlichen Übungen besteht Yoga auch aus alten Schriften, die grundlegende Empfehlungen für den Lebensstil geben.
Man sollte sich im Klaren sein, dass Yoga ein großer Markt mit geringen Zugangsbarrieren ist, sodass es unvermeidlich ist, dass sich auf diesem allerlei Paradiesvögel, Geschäftemacher und Selbstdarsteller tummeln.
Wie bei jeder intensiven sportlichen Aktivität gibt es Verletzungsgefahren durch übermäßige Belastung von Sehnen, Muskeln und Gelenken. Deshalb ist es wichtig, Signale des Körpers zu erkennen und dass der Lehrer die Übungen modifiziert, um Schädigungen zu vermeiden.
Wie in der Fliegerei ist die passende „Wellenlänge“ zum Lehrer eine Voraussetzung für den Erfolg der Ausbildung. Nach meiner Erfahrung gibt es nur wenige schlechte Fluglehrer und nur wenige gute Yogalehrer.
Im Nachfolgenden einige Ergebnisse der Yogapraxis, die auch im Cockpit nützlich sind.
In diesem Artikel werden keine medizinischen Ratschläge gegeben. Er ist es persönlicher Erfahrungsbericht, der nur zur Unterhaltung dient.
Disziplin
Eine klassische Yoga-Übungssequenz dauert ein bis zwei Stunden und folgt einer festgelegten Abfolge von Positionen, die jeweils für mehrere Atemzüge gehalten werden. Die beste Zeit für Yoga ist frühmorgens, direkt nach dem Aufstehen und vor dem Frühstück, was mir aber nur wenige Tage im Jahr in einer Intensiv-Yoga-Woche gelingt. Genauso konsequent wie die Yoga-Übungen müssen die Checklisten abgearbeitet und die Flugregeln beachtet werden. Bei der komplexen Planung eines Streckenfluges ist die Versuchung groß, Details zu überspringen.
Beharrlichkeit
Regelmäßigkeit ist entscheidend: Ideal ist tägliches Üben, einmal pro Woche ist das absolute Minimum. Es heißt, eine Übung muss tausendmal wiederholt werden, bevor sie wirklich gelingt. Das Erlangen von Meisterschaft dauert Jahre oder Jahrzehnte. Diese Geduld und Ausdauer spiegelt sich auch in der Entwicklung eines Piloten wider, sei es bei der Perfektionierung von Landetechniken oder beim Umgang mit komplexen Systemen. Gefährlich sind wenige jährliche Flugstunden oder häufiger Wechsel des Flugzeugtyps.
Konzentration
Während einer Yoga-Session herrscht absolute Stille. Es gibt keine Musik und keinen Smalltalk – nur gelegentliche Korrekturen des Lehrers. Diese ungeteilte Aufmerksamkeit ist auch im Cockpit entscheidend, insbesondere in kritischen Phasen wie Start und Landung. Eine Yoga-Übungsstunde beginnt oft mit einer kurzen Meditation und – optional – einem Mantra, das den Fokus auf die folgende Praxis lenkt. Dieser Übergang markiert den Unterschied zwischen Alltag und Übungsstunde. Ähnlich wichtig ist im Cockpit der mentale Fokus während des Vorflugchecks oder im Anflug.
Stress und Emotionen
Die Ausschaltung der Ablenkungen reduziert Stress. Yogaübungen gibt es in Varianten, die von Anfängern ausgeführt werden können und solchen, die auch für Akrobaten herausfordernd sind. Beim Üben lernen wir, dass Entwicklungen nicht erzwungen werden können, sondern durch beständige Wiederholung reifen. Diese Einstellung hilft, Dinge gelassener zu sehen.
Jeder Mensch bringt andere körperliche Voraussetzungen mit, welche die Art und Weise, in der Yogaübungen ausgeführt werden können, beeinflusst. Yoga lehrt uns die äußeren Gegebenheiten ohne Verblendung zu erkennen, anzunehmen und nichts „zu erzwingen“. Das bedeutet auch, sich nicht emotional an unbeeinflussbare Ereignisse zu binden, beispielsweise sich zu ärgern, wenn Dinge nicht so laufen wie geplant. Besser am Boden bleiben und denken „wie schön wäre es zu fliegen“, als in der Luft zu sein und zu denken „wie komme ich sicher wieder auf den Boden“.
Bescheidenheit
Nach Jahren der Praxis stellt sich ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit ein, das unabhängig von äußeren Erfolgen ist. Yoga lehrt, dass Glück und Erfüllung aus unserem Inneren kommen. Anerkennung durch andere wird nebensächlich. Diese Haltung kann Piloten helfen, sich auf die Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten zu konzentrieren, anstatt sich mit anderen zu vergleichen.
Gelassenheit
Ein zentrales Element des Yoga ist die Synchronisation von Atem und Bewegung. Beim „Sonnengruß“, einer klassischen Aufwärmübung, werden Bewegungen präzise mit Ein- und Ausatmung kombiniert. Der Atem ist der einzige bewusst steuerbare Rhythmus des Körpers und ein mächtiges Werkzeug, um Ruhe und Kontrolle zu bewahren – auch in stressigen Situationen. Für Piloten kann diese Fähigkeit, in kritischen Momenten ruhig und tief zu atmen, buchstäblich lebensrettend sein.
Fokus
Wichtiger Aspekt jeder Übung ist der Augenfokus, das Ziel der Konzentration. Wie jeder Reiter und Sportler weiß: Der Kopf führt die Bewegung. Bei jeder Yoga-Übung ist die Richtung der Konzentration und des Blicks vorgegeben. Wenn man gewohnt ist, darauf zu achten, fällt es leichter beim Landeanflug den Zielpunkt Landbahnschwelle und beim Ausschweben das Pistenende im Fokus zu behalten.
Verantwortung
Die Besonderheit von Ashtanga-Yoga ist die „Mysore“-Praxis, in der jeder für sich alleine in seinem Rhythmus übt, nachdem er in der Gruppe die Choreographie gelernt hat. Ähnlich einsam muss ein „Pilot in Command“ seine Entscheidungen treffen. Ein Copilot kann helfen, aber die Verantwortung liegt beim PIC.
Die Ruhe beim Üben und die Wiederholung der Bewegungsabläufe ermöglicht, die Konzentration nach innen zu richten. So erkennen wir minimale Veränderungen im Körper und sind gewohnt die Übungen und unser Verhalten entsprechend zu modifizieren.
Next Level
Bei Yoga-Übungen wie dem Kopfstand geht es darum, eine völlig ungewohnte, nicht alltägliche Transformation zu bewältigen. Voraussetzungen dazu, wie Rumpfstabilität und Balancen, müssen über einen längeren Zeitraum mühsam erarbeitet werden. Der eigentliche Vorgang erfordert hohe Konzentration. Eine Landung ist eine Transformation, die ähnlich langwierige Vorbereitungen wie ein stabiler Anflug erfordert. In der kurzen Zeit des Überganges ist maximale Fokussierung angesagt.
Allgemeine Gesundheit
Wesentlicher Teil der Yogaübungen sind Vorbeugen und seitliche Drehung der Wirbelsäule. Ein Waschbärbauch ist dabei nicht gerade förderlich. Man wird laufend daran erinnert, dass beim Körpergewicht in den meisten Fällen „weniger kg mehr Mobilität“ ist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Yoga-Praktizierende auf die Ernährung und das Gewicht achten.
Bei der Flugtauglichkeitsprüfung ist erhöhter Blutdruck ein häufig vorkommendes Problem, dabei wäre die Lösung in den meisten Fällen ganz einfach, aber nur mit sehr viel Disziplin zu erreichen. Am Anfang steht oft eine Diabetes Typ 2 – Erkrankung, die durch Lebensalter begünstigt und durch Lebensstil ausgelöst wird. Einschränkungen oder Verzicht beim Konsum von Zucker, Getreideprodukten und Alkohol sind eine gute Basis für die Gesundheit. Ergänzend haben tägliche Bewegung, gelegentliche Intensivanstrengung und Intervallfasten vielen Menschen bei der Gewichts- und Blutdruckreduktion geholfen. Geduld und Ausdauer muss man jedoch mitbringen. Positive Veränderungen können Monate oder Jahre dauern.
Als Bonus klappt es auch beim Einsteigen in die kleinsten Ultraleichtflugzeuge wieder besser.
Fazit
Yoga ist kein Wettbewerb und kein Leistungssport. Es geht nicht darum, besser zu sein als andere, sondern darum, sich selbst kontinuierlich zu verbessern. Wer regelmäßig übt, entwickelt nicht nur körperliche Stärke und Beweglichkeit, sondern auch mentale Klarheit, Disziplin und Gelassenheit.
Autor: Karl-Heinz Offenhäuser
Seit 15 Jahren Inhaber einer SPL UL-Lizenz
Praktiziert seit ca 20 Jahren Ashtanga-Yoga