Gedanken zur Nachhaltigkeit beim Segelflug von Hermann Bolz
Seit 1966 betreibe ich Segelflugsport. Neben vielen wunderbaren Flugerlebnissen hat das Segelfliegen meine Lebenseinstellungen intensiv mitgeprägt. Dies ist für mich heute Anlass, in einer Zeit kaum vorhandener Luft- und Raumfahrtkultur in Deutschland, darüber nachzudenken, welche aktuelle gesellschaftspolitische Bedeutung diesem Sport zukommt. Meine Gedanken bette ich dabei in die Nachhaltigkeitsdiskussion dieser Tage ein.
Die Ausdrücke „Nachhaltigkeit“ oder „Nachhaltige Entwicklung“ sind heute in aller Munde und werden derzeit eher miss-, als gebraucht. Es gibt kaum eine menschliche Regung, die nicht sogleich, insbesondere von gesellschaftlichen Gruppierungen im Bereich des Natur- und Umweltschutzes, auf die Frage hin überprüft wird, ob dadurch nicht eben diese Nachhaltigkeit gefährdet würde. Leider wird in diesem Zusammenhang der Frage, inwieweit das betroffene, menschliche Handeln der Nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft dient, erst gar nicht nachgegangen. Dies gilt ganz besonders auch für die Ausübung von Freizeittätigkeiten.
Leider ist auch der Segelflugsport hiervon betroffen. Dies in erster Linie mit dem Blick auf die Belastungen und Gefährdungen, die durch die Fahrten zu den Flugplätzen sowie den Flugbetrieb, insbesondere das Starten und Landen, für Mensch und Natur entstehen. Hier setzen dann regelmäßig die Forderungen nach Minimierung der negativen Auswirkungen an, die zu teilweise erheblichen Einschränkungen in der zeitlichen und räumlichen Bewegungsfreiheit der Flugsportler führen.
Unabhängig davon, dass sich alle Flugsportbegeisterten natürlich bemühen sollten, ihren Sport hinsichtlich seiner Auswirkungen auf Menschen, Natur und Umwelt möglichst sanft zu betreiben, sollte jedoch die Diskussion über die nahezu ausschließlich negativen Aspekte hinaus erweitert werden.
Der Begriff Nachhaltigkeit wurde von Menschen entwickelt und bezieht sich nur auf Menschen. Denn nur der Mensch ist in der Lage, für sich selbst Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer er erfolgreich leben kann. Die nichtmenschlichen Lebewesen können das nicht, sondern sind sich ändernden Umweltbedingungen überwiegend hilflos ausgeliefert. 98 % aller bisher auf der Erde lebenden Arten sind ausgestorben!
Nachhaltige Entwicklung bedeutet, dass heute wie in Zukunft die Voraussetzungen für erfolgreiches menschliches Leben gegeben sind. Um dies sicher zu stellen muss man berücksichtigen, dass die Menschheit auf Grund ihrer kulturellen (memetischen) Evolution eine Entwicklung genommen hat und immer noch nimmt, der die belebte, nicht-menschliche Natur kaum zu folgen vermag. Man denke nur an die Errungenschaften im Kommunikationswesen (Sprache, Schrift, elektronische Datenverarbeitung, künstliche Intelligenz), der Genetik (klassische Züchtung, gentechnisch veränderte Pflanzen, Gentechnologie) oder der Mobilität (tierische Transportmittel, Dampfmaschine, Otto- und Dieselmotoren, Elektromotoren, Turbinen, Raketenantriebe). Hierdurch hat sich der heutige Mensch sehr weit von seinen natürlichen Wurzeln entfernt. Ein Ausdruck für diese Entfernung ist der Umstand, dass jede/r von uns sehr viel Energie, oder anders ausgedrückt, durchschnittlich etwa 100 Energiesklaven zur Gewährleistung seiner Lebensverhältnisse einsetzt. Dieser Wert schwankt erheblich. So bedeutet eine Fahrt mit einem Fahrzeug mit einer Leistung von 80 kW etwa den Einsatz von 1000 Energiesklaven, der Betrieb eines Laptops etwa den eines Energiesklaven.
Bereits in der Vergangenheit war die Menschheit immer wieder darauf angewiesen, ihr Überleben auch und insbesondere durch neue Erkenntnisse und Erfahrungen kreativ und innovativ zu sichern. So gelang der Auszug aus den Regenwäldern, das Überleben der Eiszeiten, die Sicherung der energetischen Lebensgrundlagen nach der Erschöpfung der Wälder (hölzernes Zeitalter) durch die Erschließung fossiler Lagerstätten und die technische Perfektionierung der Energieumwandlung bis hin zur (weitestgehenden) Beherrschung des atomaren Feuers. Die Nachhaltige Entwicklung der Menschheit war nie die rückwärtsgewandte Reintegration in Naturkreisläufe! Sie war im Gegenteil stets verknüpft mit der Entlastung überspannter Beziehungen zwischen Menschen und Natur durch technische Lösungen. Zweifellos haben diese technischen Lösungen immer wieder Folgeprobleme generiert. Diese allerdings als Fluch der Technik abzutun, ist zu kurz gesprungen. Ohne diesen „Fluch“ gäbe es die Menschheit schon lange nicht mehr! Und auch in der Zukunft wird man (hoffentlich immer) rechtzeitig technische Lösungen zur Entlastung überdehnter Beziehungen zum natürlichen System finden. Die nächste große Herausforderung dürfte in diesem Zusammenhang erneut die Frage nach der Sicherung der energetischen Lebensgrundlage der Menschheit sein, wie dies schon einmal in Mitteleuropa vor ca. 250 Jahren am Ende des hölzernen Zeitalters der Fall war. Denn die Art und Weise, in welcher wir Energie für unsere menschlichen Zwecke umwandeln, wird entscheidend für die Sicherung unserer Zukunft sein.
Nachhaltige Entwicklung bezieht sich in erster Linie auf die Menschheit und sie braucht Menschen, die sie kompetent in den Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales des Nachhaltigkeitsgebäudes gestalten. Flugsport betreiben heißt, gerade in diesen drei Bereichen wichtige Beiträge für die Zukunftsgestaltung zu leisten. Insbesondere der Segelflugsport vermittelt hierzu wichtige Schlüsselqualifikationen.
Flieger/innen sind Menschen, die sich Kompetenzen jenseits dessen erwerben, was uns die Natur mit auf den Weg gegeben hat. Fliegen heißt, sich auf wissenschaftlicher Basis und mit hochwertiger Technologie in Räumen zu bewegen, für deren Erschließung uns die natürlichen organischen Voraussetzungen fehlen. Fliegen heißt, Vertrauen in Technologie zu setzten und umgekehrt, Technik so zu entwickeln, dass man ihr vertrauen kann. Fliegen eröffnet schließlich in seiner raumbezogenen Dimension das Potenzial, sich eines Tages vielleicht auch den auf der Erde lauernden Gefahren für unsere Nachhaltige Entwicklung durch Besiedlung anderer Himmelskörper zu entziehen.
Flieger/innen sind Menschen, die technische Innovationen grundsätzlich konstruktiv-kritisch bejahen und verantwortungsbewusst nutzen. Eine Einstellung, die zur Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit hilfreich ist.
Flieger/innen sind Menschen, die in der Lage sind, Komplexität zu beherrschen. Ein gelungener Segelflug bringt die technischen Möglichkeiten des Flugzeugs in Übereinstimmung mit
- aktuellen meteorologischen Phänomenen,
- der rechtlichen Gliederung des durchflogenen Luftraumes,
- den herrschenden Flugverkehrsbewegungen und
- der persönlichen Fitness.
Das alles vor dem Hintergrund, selbst unter höchstem Zeitdruck komplizierte und komplexe Entscheidungssituationen zielorientiert meistern zu können. Angesichts der immer enger werdenden Zeitfenster zur Gewährleistung der Nachhaltigen Entwicklung der Menschheit wünscht man sich Entscheider/innen, die über solche Schlüsselkompetenzen verfügen.
Flieger/innen sind Menschen, die sich in der Natur bewegen und in der Lage sind, Naturkräfte in Verbindung mit einem technischen Gerät äußerst effizient und effektiv zu nutzen. Segelfliegen bedeutet in diesem Zusammenhang auch, zur Verfügung stehendes Potential der Atmosphäre und des technischen Geräts optimal auszuschöpfen. Das analoge Prinzip in der Betriebswirtschaftslehre, das Wirtschaftlichkeitsprinzip, lautet, mit einem bestimmten Aufwand einen maximalen Nutzen zu erzeugen. Dabei entwickeln sie auch ein realistisches Gespür für die ungeheure Gewalt, welche die Natur entfalten kann und können so die Mär von der friedlichen Natur treffender einordnen. Menschen, die so die Natur erfahren haben, bringen gute Voraussetzungen für die Gewährleistung einer Nachhaltigen Entwicklung im Sektor Ökologie mit. Dies gilt insbesondere auch für ihr Verständnis der Atmosphäre, die sich derzeit nicht zuletzt unter menschlichem Einfluss ändert.
Flieger/innen sind Menschen, die dem Cluster Luft- und Raumfahrt angehören, innerhalb dessen eine beachtliche Innovationen und Wertschöpfung erfolgen, deren Bedeutung für die Zukunft der Menschheit kaum überschätzt werden kann. Dabei beschränkt sich diese Wertschöpfung nicht alleine auf den ökonomischen Bereich. Die durch das Fliegen ermöglichte globale Mobilität leistet unverzichtbare Beiträge zur Sicherheit und Versorgung der Menschheit mit lebenswichtigen Gütern und trägt zu einer Annäherung der unterschiedlichen Kulturen bei. Dies mit Blick auf die negativen Auswirkungen des Flugverkehrs auf Natur und Umwelt einschränken oder gar verbieten zu wollen, zeugt allenfalls von einem völligen Missverständnis des Vorhabens „Nachhaltige Entwicklung“.
Insbesondere Segelfliegen setzt ein von Vertrauen geprägtes Miteinander von flugbegeisternden Menschen voraus. Rechte und Pflichten, Freiheit und Verantwortung werden hier eng verflochten gelebt. Auch dies eine Kompetenz, die im beruflichen wie privaten Leben äußerst hilfreich ist.
Fliegen ermöglicht schließlich eine andere Perspektive auf unsere Welt. Pilotinnen und Piloten verlassen die alltägliche Sicht der Dinge und schauen aus einem anderen Blickwinkel auf unser Land. Dies öffnet den Geist und hilft, aus eingefahrenen Bahnen auszubrechen.
Alleine diese wenigen Ausführungen zeigen, wie wenig eine Beurteilung des Flugsports aus der Sicht der Säule Ökologie des Nachhaltigkeitsgebäudes den tatsächlichen Verhältnissen gerecht wird. Richtigerweise und umfassend gesehen leistet der Segelflugsport einen erheblichen Beitrag zur Sicherung der Nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft. Man kann sich nur wünschen, dass diese Bedeutung zukünftig gesellschaftspolitisch besser erkannt wird, und vor allem jüngere Menschen wieder öfter den Weg in die Flugsportvereine finden, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Damit einhergehen sollte auch die Entwicklung einer zukunftsorientierten Luft- und Raumfahrtkultur, wie sie in anderen fortgeschrittenen Ländern wie den USA, England oder Frankreich besteht.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Flugsport sehr wichtige Beiträge für die Nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft leistet. Diese müssen bei der Diskussion um die zweifellos auch vorhandenen negativen Auswirkungen auf die Umwelt gebührend berücksichtigt werden. In der Regel dürfte dieser Nutzen die negativen Wirkungen weit überwiegen, insbesondere dann, wenn man letztere durch sensible Verhaltensweisen und technische Innovation weiter minimiert.